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DIRECTORS NOTE

DIRECTOR’S NOTE VON SCHWARWEL

Nachdem wir – also das Leipziger Produktionsstudio Glücklicher Montag und ich als gebürtiger und wohnhafter Leipziger, Drehbuchautor und Regisseur – mit „Richard – Im Walkürenritt durch Wagners Leben“ und „1813 – Gott mit uns“ bereits 2013 zwei Kurzfilmprojekte mit Leipziger Themenbezügen auf die Beine gestellt hatten, lag es im 25. Jubiläumsjahr der „Friedlichen Revolution“ 2014 natürlich nahe, sich auch dem Thema der Montagsdemonstrationen und der Wende mit unserem speziellen künstlerischen Ausdrucksmittel – dem Trickfilm – zu verpflichten.

Hinzu kommt, dass ich die Wendejahre doch recht intensiv vor allem in Leipzig und in Berlin miterlebt habe, da ich in dieser Zeit als 19-, 20-, 21-jähriger Musiker, Zeichner und Künstler irgendwie automatisch in jenen Randbereichen der DDR unterwegs war, die so gern als ostdeutsche Undergroundszene bezeichnet werden, was zu der Fehlannahme führen könnte, man habe es mit einer geschlossenen Gruppe gleichgesinnter, umstürzlerischer Individuen zu tun. Das habe ich jedoch anders erlebt. Nur weil es mit der damaligen DDR-Führungsriege und ihren Schergen vielleicht ein gemeinsames Will-ich-nicht gab, war man nicht automatisch immer einer Meinung oder fühlte gar einen tiefen inneren Drang zu nur wieder einer anderen Art der Gleichschaltung: der des Anders sein.

Wahrscheinlich ging es eher darum, dass diese ganzen Einzelwesen einfach nur ihr Ding machen wollten – was auch immer das sein mochte –, ohne dass ihnen ständig jemand Vorschriften macht oder sich das Recht herausnimmt, permanent mit Nachdruck bestimmen zu wollen, wohin es mit einem gehen soll. Ein ganz normales Streben nach Selbstbestimmung, wie ich es gern pauschal einfach jedem Menschen unterstellen würde, der noch alle Tassen im Schrank hat. (Und by the way ein Bestreben, was ich ebenso bei den Dachdeckern aus meinem Lehrbetrieb und den „richtigen Arbeiterklasse-Menschen“ zum Beispiel bei der Volkssolidarität kennengelernt habe, mit denen ich Lebenszeit verbringen durfte.)

Und da sind wir immer noch: die Selbstbestimmung ist heute soweit gegeben, dass ich mich hinsetzen kann, um über das Werden und Vergehen jener Welt zu reflektieren, die alles in mich reingeschüttet hat, was ich heute bin – abzüglich der Dinge, die ich mir ab 21 aufwärts in dem neuen System aufhelfen durfte, konnte oder musste, in dem ich nun seit 25 Jahren zirkuliere.

So richtig angekommen bin ich immer noch nicht, aber mir muss auch keiner mehr über die Straße helfen. Das ist doch schon mal was.

Vielleicht liegts ja auch daran, dass ich mein Begrüßungsgeld nie abgeholt habe, weil mir das zu schäbig war. Oder weil ich die Chance verschenkt sah, es mit dem Wiedervereinen etwas langsamer anzugehen. Möglicherweise habe ich auch nur ein mal zu oft „Wir bleiben hier!“ gerufen, weil ich für mich in dieser einen, ganz bestimmten Parole der „Friedlichen Revolution“ das Idealbild des trotzigen Verweigerers sehe und deshalb eben immer noch teilweise dort bin, wo jenes gemeinte „hier“ geblieben ist, einbetoniert in der Wendezeit …

All diese Überlegungen waren klares Indiz dafür, unbedingt einen Trickfilm über die „Friedliche Revolution“ angehen zu müssen und bei der Gelegenheit diese als tot und begraben geglaubte Zeit noch einmal auf Autopilot durchzumachen, quasi auf dem Beifahrersitz, mich selbst beobachtend, wie ich da so durch eine einzigartige Raum-Zeit geschlenkert bin, die sich Leuten schwer bis gar nicht vermitteln lässt, die nicht dabei gewesen sind, weil die Nuancen so vielfältig sind, der Geschmack so eigen …

Als ich das Drehbuch schrieb, war ich im Gegensatz zu sonst sowohl bei der Recherche als auch bei den eigenen Erinnerungen auf viel Hilfe aus meinem Umfeld angewiesen: Familie, Freunde, Bekannte schrieben ihre persönlichen Erlebnisse und Lebensläufe auf und stellten sie mir vertrauensvoll zum Ausschlachten oder zum Gegencheck zur Verfügung.

Danke dafür.

Dabei ist mir klar geworden: Bei all dem Schmerz, Leid und Verlust, den diese selbsternannten Führer der Arbeiterklasse bei Pi mal Daumen drei Generationen DDR-Bürgern verursacht haben, war für mich persönlich wohl mit das Schlimmste feststellen zu müssen, dass mir diese Strauchdiebe ganze Erinnerungskapseln voll wertvollster Emotionskristalle gestohlen hatten, weil ich diese gleich zusammen mit den Gehirnwäschen, den Gleichschaltungen und den verblödeten, selbstgefälligen Ungerechtigkeiten irgendwo tief in meinem Herzen eingebuddelt hatte. Diese ganzen Sachen kamen erst jetzt bei der Arbeit an „1989 – Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“ wieder zu Tage. Aua.

Und irgendwie vermute ich jetzt, dass ich unter Umständen nicht der einzige bin, an dessen Zeit sich diese grauen Herren wie bei Michael Endes Momo bedient haben.

Wenn unser Film ein paar Leuten dabei helfen kann, ihre eigenen tief vergrabenen Erinnerungskapseln mit diesen glitzernden Emotionskristallen zu heben, wäre mir das eine große Ehre.

Und einen Schlauen auf den Weg habe ich noch:

„Ein Mensch ohne Geschichte ist wie ein Baum ohne Wurzeln.“

(Spruch an einer Hauswand gegenüber dem Reichstag)

– Schwarwel, Leipzig 28.02.2014

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