PRODUCER’S NOTE VON SANDRA STRAUSS
Mein persönliches Schlüsselerlebnis war 2012 bei einem Comic-Workshop in Erlangen. Wir waren in einer Lernstube, die insbesondere sozialschwächere und bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche in einem sog. „Problemviertel“ mit hohem Migrationsaufkommen besuchten.
Während unseres Workshops erzählten unsere Teilnehmer ihre zum Teil sehr schockierenden, dramatischen, schmerzhaften und traurigen Geschichten, die mir sehr nahe gingen und mich aufwühlten, und gleichzeitig waren sie unglaublich glücklich bei unserem Workshop, aktiv selbst ihre eigenen Comics zu zeichnen, deren Inhalte sie sich selbst ausgedacht hatten, und sich mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen.
Anfänglich war ich gelähmt und fühlte mich ohnmächtig ob dieser schlimmen Erlebnisse und Erfahrungen dieser jungen sensiblen Menschen und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte, was ich tun konnte, damit ich ihnen irgendetwas geben kann.
Während meiner Gelähmheit erinnerte ich mich an die entspannten und zufriedenen Kinder und Jugendlichen, die bei unserem Workshop sie selbst sein konnten, Comics zeichneten, allein oder in Teams, die sich bestimmten Thematiken konkret für diesen Moment intensiv widmeten und aktiv darüber diskutierten.
Und dabei war und bin ich mir natürlich durchaus bewusst, dass man das Zusammenagieren und das Leben in dieser unserer Welt nicht im Großen und Ganzen verändern kann, und schon gar nicht mit einem Workshop oder einem Comic oder einem Trickfilm, aber man kann es eben im Kleinen tun und ich glaube daran, dass sich dadurch die Dinge verändern, dass man dadurch die Welt ein klein wenig verbessern kann – ohne dass dies abgedroschen klingen mag. Jedenfalls hilft mir dieser Glaube und das konkrete Tun.
Und damit war für mich und uns als Glücklicher Montag klar, dass wir intensiv weitere Comic- und Trickfilm-Workshops geben werden, dass wir unseren Teilnehmern unterhaltsam Wissen und Bildung vermitteln möchten und sie selbst aktiv werden lassen.
Unsere Trickfilme dienten von Anfang an dabei immer als Einstieg und Grundlage unserer Selbermachen-Workshops unter Leitung von Schwarwel.
Parallel dazu strukturierten wir gerade auch unser Studio um, fokussierten uns und hatten uns dafür entschieden, uns mehr im Bildungs- und Sozialbereich zu bewegen und zu engagieren, natürlich als Trickfilmstudio, mit unseren Trickfilmen, Comics, Karikaturen, Illustrationen und eben unseren Zeichen-Animations-Kursen.
Wir produzierten in den darauffolgenden Jahren Trickfilme, die sich mit Geschichte, historischen Ereignissen, aktuellen politischen Themen, Diktatur und Demokratie, Krieg, historischen Persönlichkeiten, dem Leben in einer Gesellschaft, dem Miteinander, der Verantwortlichkeit und auch dem Sterben auseinandersetzen.
Wir sind glücklich und sehr dankbar über jeden, der unsere Filme anschaut und durch diese zum Nachdenken angeregt wird, bei dem dadurch etwas ausgelöst wird, sei es die eigenen Erlebnisse und Gefühle bei der Montagsdemo 1989 und den heutigen Gegen-LEGIDA-/PEGIDA-Demos, dem Tod eines nahen Menschen oder geliebten Tieres, Armeezeit mit striktem Gehorsam und Unterwerfung, Schießbefehl und Mauern, die es auch heute wieder gibt, das Erinnern an die eigene Kindheit, Feindbilder und den Fragen nachzugehen: „Wäre ich als Jugendlicher in der DDR streng dem System gefolgt und mit FDJ-Hemd im Zug mitgelaufen oder hätte ich lieber Musik in einer Kirche angehört und gespielt, was gleichzeitig auch gleichbedeutend damit war, dass ich dadurch als Teil der Opposition nicht nur überwacht worden wäre, sondern quasi schon mit einem Fuß im Knast stand?“, „Wie ist es möglich, dass man im Krieg weiterlebt und das alles erträgt?“, „Warum, für wen und wo gegen werden Kriege geführt, wem nutzt das?“, „Führe ich nicht auch Kriege, schon in meinem kleinen Umfeld – wie positioniere ich mich?“, „Mangelwirtschaft: auf was muss ich denn jetzt verzichten, was fehlt mir?“, „Wie war Wagners Verhältnis zu Hitler und dem Nazi-Regime?“, „Wie war die Überwachung in der DDR einerseits und wie ist es andererseits im Heute und Hier?“, „Wieso rufen Teilnehmer einer Legida-Demonstration ‚Wir sind das Volk?’“, „Was bedeutet Demokratie?“, „Existiert 2017 eine Gleichberechtigung und Gleichstellung, bspw. für Menschen anderer Herkunft, Homosexuelle, Frauen hier in Deutschland?“, „Was bedeutet Macht?“, „Kann man wirklich nur als Independent-Nischen-KünsterlIn seine eigenen Sachen machen und welchen Preis zahlt man dafür, wenn man sich nicht für den ‚Mainstream’ und das ‚System’ entscheidet?“, „Was bedeutet Empathie?“, „Was ist Freiheit?“, „Mag ich Rote Beete?“ … und das sind nur einige wenige meiner persönlichen Assoziationen.
Bei unserer Premiere von „1989 – Unsere Heimat …“ 2014 haben einige Gäste sofort nach der Filmvorführung den Raum verlassen, weil sie so stark berührt waren und so viele Erinnerungen wieder hochkamen, dass sie unter Tränen in den Augen den Heimweg antraten und alleine sein wollten. Später dann bekamen wir von ihnen ein großartiges emotionales Feedback auf unseren Film.
Bei „Leipzig von oben“ sind sehr viele Reaktionen noch stärker und tiefer, weil es ja insbesondere auch um Verlust, Trauer, die eigenen Ängste geht, um das Sterben und den Tod, der uns alle täglich tangiert, mit dem wir uns nur bedingt auseinandersetzen möchten und der uns allen bevorsteht.
Seit „1989 – Unsere Heimat“ erzählen wir „unsere eigenen“ Geschichten, d. h. wir haben uns als Glücklicher Montag bspw. auch jetzt bei „1989 – Lieder unserer Heimat“ bewusst dafür entschieden, dass Schwarwel seine eigenen Geschichten und die Erlebnisse seiner Mitmenschen, die er in sich aufgesogen hat und die damit Teil seines Lebens geworden sind, niederschreibt und sie zum Inhalt unserer Filme macht, weil wir dann authentische Storys erzählen können, Geschichten aus dem Leben, selbstempfunden.
Ich als Produzentin unterstütze das in ganzem Maße, weil Autor und Regisseur Schwarwel in seinem gesamten Leben schon so viel erlebt hat, als hätte er bisher gleich mehrere Leben gelebt. Er hat von Beginn an alles auch sehr intensiv im Moment er- und gelebt und als sensibler Mensch sehr stark wahrgenommen.
Schwarwel geht sehr offen mit seinen früheren Ängsten, Angstzuständen, Panikattacken, seinem früheren Leben als Alkoholiker und seinem jetzigen Leben als seit vielen Jahren trockener Alkoholiker, seiner klinischen Depression usw. um. (Ich selbst bin noch nicht soweit und dazu bereit, dies so zu formulieren und schon gar nicht der Öffentlichkeit zu offenbaren.)
Diese Offenheit, Klarheit und Ehrlichkeit und all diese intensiven Erfahrungen bringt er in unsere Filme ein und lässt sie dadurch lebendig werden. Dabei ist das alles gleichzeitig auch nur ein Symbol und beispielgebend für die Leben aller anderen Menschen.
Die Inhalte unserer Filme sind zum Teil semi- und autobiografisch, subjektiv empfunden und sind gleichzeitig objektiv wahrnehmbar.
Uns und mir ist es eine persönliche Herzensangelegenheit auch über Tabuthemen zu besprechen und diese in unseren Werken zum Gegenstand unserer Erzählungen zu machen.
Und dabei möchten wir nicht mit erhobenem Zeigefinger dastehen. Jeder soll und kann, sofern er möchte, sich selbst mit all diesen Thematiken auseinandersetzen.
In „1989 – Lieder unserer Heimat“ gehen wir diesen Weg weiter.
Mit den Stilmitteln des Trickfilmes und mit musikalischer Untermalung, durch die der Zuschauer bedingt durch sein Aufwachsen und seine Jugend sofort Zugang findet, möchten wir unterhaltsam Geschichtswissen vermitteln. Der Rezipient braucht anfänglich gar nicht merken, dass er lernt und hier auch mit Wissen und Bildung versorgt wird.
Die Erfahrungen unserer bisherigen Filmvorführungen, bei denen wir anwesend waren, unsere Workshops, die Berichte derer, die unsere Filme vorgeführt haben, und die Zuschauer selbst haben uns gezeigt, dass es funktioniert.
Im Vordergrund unserer Arbeit steht dabei auch, dass wir den Bogen zum eigenen Leben schlagen möchten: „Was hat bspw. DDR-Geschichte, haben historische Ereignisse und all das mit mir und meinem eigenen Leben zu tun?“
Wir machen Kinovorführungen, betreute Screenings und Workshops in Schulen mit allen Altersklassen und in allen Schulformen, für LehrerInnen und Workshopleiter, in sozialen und Bildungseinrichtungen, mit Mädchenwohngruppen, mit Geflüchteten, im Jugendstrafvollzug, in Museen, Bibliotheken, an Universitäten … und wir werden insbesondere auch für Kurse mit etwas „schwierigeren“ Teilnehmern gebucht.
Es ist unglaublich, wieviel wir selbst dabei mitnehmen und lernen dürfen. Das ist ein großes Geschenk.
Besonderes Augenmerk liegt für uns auch darauf, dass wir unsere Veranstaltungen ebenso im ländlichen Raum durchführen. Dort, wo es nicht so viele kulturelle Angebote gibt.
Dabei ist uns stets auch wichtig, Animationskunst und Trickfilm auch über die Kino-, DVD- und Filmfestival-Grenzen hinaus stattfinden zu lassen, um so ein neues, interessiertes Publikum zu finden, das die Kunst des Trickfilmes nicht als „Kinderkram“ oder maniriertes Kunstgenre abtut (wie man dies leider mitunter noch feststellen muss), sondern die Möglichkeiten des Mediums kennenlernt, Sachverhalte, Wissen und Meinungsbildung durch die Überhöhung und die künstlerische Bearbeitung durch Animationstechniken in unser Bewusstsein zu rücken.
Wir sind eines der wenigen Studios, das noch ganz klassisch 2D, mit Stift auf Papier zeichnet, weil wir damit unseren Filmen die dafür notwendige Lebendigkeit einhauchen.
Und ja, Trickfilme machen, bedeutet gleichzeitig auch, an seine eigenen Grenzen zu gehen und diese Grenzen auszuloten.
Erst kürzlich schrieb ich auf Facebook:
Ich bin sehr dankbar.
Wir haben in unserem Trickfilm-Studio das große Glück und den Luxus, dass wir mit dem, was wir lieben und das unsere Leidenschaft ist, unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Dazu gehören natürlich auch monatelange harte Arbeit, Fleiß und Schweiß, viel Spaß, Schmerz und auch der immerwährende Kampf gegen alle möglichen Widerstände, die einem mitunter wie ein Orkan ins Gesicht blasen und dich von deinem Vorhaben abbringen wollen, wenn man sich ganz straight dafür entschieden hat, seine eigenen Sachen nach den eigenen Regeln durchzuziehen. Und dabei hilft der Glaube an das, was man tut und möchte, fixiert auf die Sache, denn darum geht es.
Ich bin sehr glücklich, dass wir mit Karikaturen, Comics, Illustrationen, Workshops und Trickfilmen unser täglich Brot verdienen, die soziale, politische, geschichtliche Themen, Bildung und Wissensvermittlung zum Inhalt haben. Alles das, was uns beschäftigt, was uns selbst, unser Leben und Zusammensein mit allen Lebewesen betrifft.
„Was hat das alles mit mir zu tun?“ Genau darum dreht es sich auch bei unserem neuen „1989“-Trickfilmprojekt. Welchen Einfluss hat die Historie und Vergangenheit auf den Ist-Zustand und die Zukunft? Wie verwende ich dieses Wissen?
Zum o. g. GlüMo-Luxus gehört vor allem auch, dass wir aktuell – neben verschiedenen Auftrags-Animationsfilmen, Karikaturen, Illustrationen usw. – unseren eigenen Trickfilm produzieren, der eigen Erlebtes, Autobiografisches erzählt, mit aller Schönheit, Liebe, allem Leid, allen schmerzvollen Erfahrungen … eben allem, was zum Leben (von der frühen Kindheit an im Staate DDR) dazugehört. Und wir erstellen einen Trickfilm, der in verschiedenen Designs+Stilen daherkommt und unterschiedliche Musikrichtungen vereint und dabei im Gesamtbild miteinander verwoben ist.
Es ist ein sehr gutes und beruhigendes Gefühl, dass wir dabei von allen Seiten so intensiv unterstützt werden … auf die verschiedene Art und Weise … von unseren Freunden, unserer Familie, unseren Mit-Trickfilmern, unseren Musikern, unseren Crowdfundern … Mein aufrichtiger und inniger Dank.
Wir haben uns natürlich in der Anfangsphase unserer Produktion sehr intensiv und bewusst damit ins Benehmen gesetzt, ob wir innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes dieses sehr aufwendige Trickfilm-Projekt machen möchten. Die Antwort war dabei von Anfang an klar: Ja. Machen wir, weil die Sache, die Art unserer Trickfilm-Produktion genau dies erfordert: Geschichts-Themen unterhaltsam vermitteln, spielend und mit Spaß lernen. Wir wollten keine staubtrockenen Erklärbärfilme machen, die sich mit DDR-Geschichte beschäftigen. Interessiert unsere Zielgruppe nicht, braucht kein Mensch, also wäre das Ziel verfehlt gewesen. Also gehen wir eben den aufwendigen, harten Weg, der härtere und längere Arbeit, mehr Schweiß und auch mehr Geld einschließt.
Aufgrund des letztgenannten Punktes haben wir uns zur weiteren Finanzierung für Crowdfunding entschieden und hatten dabei anfänglich zu Recht Bedenken, weil wir wussten, dass es von unseren Freunden, Partnern und Unterstützern doch sehr viel abverlangt, dass wir nach unserer „Leipzig von oben“-Crowdfunding-Aktion im letzten Jahr und der JSA-Workshop-Crowdfunding-Aktion vor wenigen Wochen jetzt schon wieder um Unterstützung für die Realisierung unserer Projekte bitten. Hinzu kommt, dass man beim Crowdfunding sehr aktiv Promo, Öffentlichkeits- und Netzwerk-Arbeit machen muss. Wir wussten, dafür haben wir gerade keine Zeit und keine Kapazitäten, uiuiui … Also haben wir auf unsere Unterstützer vertraut und an Sie, an euch, geglaubt. Und tatata: Bei 96 % und noch 11 verbleibenden Crowdfunding-Tagen dürfen wir schon jetzt an dieser Stelle DANKE sagen. Danke, dass ihr an uns glaubt und unsere Projekte so intensiv und immerwährend unterstützt. Ihr ermöglicht es uns, dass wir alles genau so verwirklichen können, wie wir es möchten und es nach unserem Empfinden gut ist und der notwendigen Qualität entspricht.
Ebenso dankbar bin ich auch allen unseren Musikern und an der Produktion Beteiligten. Es macht unglaublich Spaß, das alles mit euch allen gemeinsam umsetzen zu dürfen.
Und warum ich das schreibe. Einfach weil ich dafür sehr dankbar bin, meinen tiefen Dank aussprechen möchte und evtl. können wir mit unserer Arbeit viel zurückgeben.
Sandra Strauß
Produzentin + Studioleitung + Geschäftsführerin
Glücklicher Montag
Leipzig, Januar 2017