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ZEITZEUG*INNEN: INTERVIEW MIT HENDRIK DOMRÖS

INTERVIEW MIT HENDRIK DOMRÖS

zum Buch „1989 – Lieder unserer Heimat”

Welches Lebensgefühl verbindest du mit deinem Aufwachsen, deiner Kindheit und Jugend in der DDR?

Manchmal Enge, oft Behütetsein, häufig schlechte Musik, schlechter Klamottengeschmack in Ermangelung stylischer Alternativen, das Gemecker der Anderen und Colt Seavers.

Was wäre deines Erachtens bei deinem Heranwachsen anders verlaufen, wenn du nicht in der DDR groß geworden wärst?

Ich hätte eher einen Kassettenrekorder gehabt und damit die Möglichkeit, viel früher mehr echte Musik zu erfahren. Ich hielt die Koketterie „Im Osten haben alle Musiker studiert und deshalb ist auch die Musik besser“ immer für hochgradigen Unsinn.
Mein erstes Konzert wäre nicht Pharao, sondern Iron Maiden gewesen. Und die erste Zigarette keine Karo, sondern vielleicht ne Camel ohne Filter.
Meine Eltern hätten als Kommunisten vielleicht Berufsverbot gehabt oder gegen den NATO-Doppelbeschluss demonstriert. Schule hätte ich wohl so oder so Kacke gefunden und das erste Mal geknutscht wohl auch erst mit 13 oder 14.

Wie hast du das Leben in der DDR empfunden und verbracht?

Ich war zur Wende ja erst 13. Was aber wirklich in Erinnerung blieb, war das ständige Gemecker aller möglichen Leute. Scheiß Honecker – es gibt keine Bananen, Braustolz nur in grünen Flaschen und keine Hawaii-Reise (Wer bitte fährt denn heute nach Hawaii in den Urlaub?).
Dafür wurde ständig und überall gesoffen, es gab Bockwurstmarken am 01. Mai und Berufe wie „Betriebsmaurer“ oder „Facharbeiter für Gütekontrolle“ für karrierebewusste Werktätige.
Acht Wochen Sommerferien waren deutlich zu viel, denn gerade gegen Ende August hin wurde es immer ganz schön langweilig. Dass man sonnabends in die Schule musste, empfand ich erst im Nachgang als Belastung, schließlich hat man ja auch nicht in Frage gestellt, wenn man mittwochs Schule hatte.
Komisch fand ich jedoch, dass es zwar bei uns einen „Platz der Solidarität“ oder ein „Stadion der Völkerfreundschaft“, aber trotzdem ständig Schlägereien mit vietnamesischen, kubanischen oder mosambikanischen Vertragsarbeitern gab. Natürlich nur, weil „die“ provoziert und die Taschen voller Westgeld hatten.

An welche positiven Erlebnisse und an welche negativen Erfahrungen erinnerst du dich?

Toll war zu Weihnachten, wenn entweder „Winnetou“ oder „Die Olsenbande“ im Fernsehen kam. Auch Westfernsehen hat gefetzt. „Colt Seavers“, „Trio mit vier Fäusten“ oder „Hard‘n‘Heavy“, Mittwoch nachmittags mit Annette Hopfenmüller auf Tele 5, einem Sender, den wir seit 1988 wahrscheinlich als einzige in der gesamten Ostzone empfangen konnten, dank einer ausrangierten NVA-Satellitenschüssel auf dem Dach der Garage des Genossen Vorsitzenden der Antennengemeinschaft der AWG.
Negativ in Erinnerung geblieben ist mir, dass die Typen mit Westverwandschaft oft Arschlöcher waren und Mondpreise für drittklassigen Mist (z. B. das Heavy Metal-Magazin aus der Bravo) aufgerufen haben.

Rückblickend und im Vergleich mit dem Leben im Hier und Jetzt: Was verbindest du mit dem Satz: „Es war doch nicht alles schlecht.” Was waren für dein Gefühl positive Aspekte im DDR-System?

Das ist ein Scheiß-Satz. Grundsätzlich kann man den nämlich über jedes System sagen. Nur bringt das nichts und verdeckt den ganzen anderen Mist.
Solange es nicht allen gut geht, ist das System nicht gut. Ganz einfach. Man kann zu den Glücklichen zählen, die nichts oder nicht viel auszustehen haben, anderen hingegen gehts dreckig. Solange das so ist, müssen Menschen sich Gedanken machen, wie man genau diesen Zustand überwinden kann. Es rettet uns nunmal kein höheres Wesen.

„Wir hatten doch nüscht.” Hast du selbst die Plan- und Mangelwirtschaft als Mangelwirtschaft für deinen persönlichen Bereich empfunden?

Ja klar! Kein Kassettenrekorder, keine Westplatten, kein Metal Hammer oder Rock Hard. Das System war nicht lebensfähig.

„Für den Frieden und Sozialismus immer bereit!” Wie war es für dich uniformiert ein Halstuch oder ein FDJ-Hemd zu tragen und zum Appell anzutreten?

Ich hatte nichts gegen Halstücher, nur gegen diese „Pionierblusen“. Ich hasse Hemden. Später gab es zum Glück „Pioniernickis“, die waren okay.
Die Pioniergebote waren lächerlich und allen, die ich kannte, vollkommen egal. Eine Belobigung vorm Appell zu kriegen, hatte aber schon was. Fürs Altpapiersammeln oder gute Leistungen beim „Festival der jungen Talente“ gabs die. Applaus klang auch zu DDR-Zeiten nicht anders als heute.
Meinen ersten größeren Auftritt als „Solokünstler“ hatte ich im Mai 89 vor der versammelten SED-Kreisleitung. Da hab ich zwei Songs gebracht, nämlich „Glocke 2000“ von Karat und ne Heavy-Ballade „Wenn der Frieden stirbt“ von Prinzip. Da haben die ganzen Funktionäre angefangen zu heulen, weil sie so ergriffen waren und hinterher gabs Standing Ovations. Das war schon geil. Dafür hab ich vorm Appell auch nochmal ne Belobigung eingefahren und fand cool, dass ich in der Belobigungsbegründung als Rockmusiker bezeichnet wurde.

Wie hast du Unterricht und Schule erlebt?

Ich habe Schule gehasst. Mathe, still sitzen mit verschränkten Armen, Biologie, überhaupt Naturwissenschaften. Musik und Geschichte waren okay. Stabi war aber auch nur lächerlich. „Die Welt lebt im weltweiten Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus.“ Is klar …

Wie hast du die Masseninszenierungen, Sportwettkämpfe, Medaillen und Auszeichnungen empfunden?

Masseninszenierungen wurden ja der Arbeiterbewegung durch die Nazis weggenommen. Deshalb hat man da zu Recht Berührungsängste.
Ich denke aber, dass gerade Sportler, ähnlich wie ich mit meiner Belobigung vorm Appell, schon ziemlich stolz waren, wenn ihnen von 50.000 Menschen zugejubelt wurde.
Die Aufmärsche am 1. Mai oder zum 7. Oktober haben inhaltlich niemanden interessiert, dafür gabs aber immer was kostenlos. Limo und Bockwurst zum Beispiel.
Die Medaillen bei der Spartakiade empfand ich als Bestätigung. Denn auch wenn ich wusste, dass ich später mal Musiker werde, konnte ich so auch jederzeit einen Sportberuf ergreifen, in meinem Fall Fußballer oder Kegler. Oder eben Sportreporter, so wie Dirk Thiele oder Bodo Boeck vom Fußballpanorama.

Wie waren für dich deine Ferien im FDGB-Heim?

Ganz cool eigentlich, da die Dinger immer ganz gut ausgestattet waren, z. B. mit nem Schwimmbad oder Tischtennisraum. Man lernte jede Menge Leute in seinem Alter kennen und im Gemeinschaftsraum ging immer die Post ab, wenn z. B. Fußball übertragen wurde.

Wie ist heute dein Blick auf die DDR?

Man sollte mit Menschen keine Experimente machen, schon gar nicht mit der Begründung, es sei für eine gute Sache. Und man darf seelisch Geschädigten (Quasi die gesamte Führungsriege der SED saß ja im KZ oder Nazi-Zuchthaus.) keine Macht geben. Das musste schiefgehen bei einem Volk von Nazikollaborateuren.

Kann deines Erachtens Zivilcourage die Gesellschaft ändern?

Nein. Aber sie macht eine Gesellschaft auch nicht schlechter.

Wie empfandest du bei den Montagsdemonstrationen den Übergang von „Wir sind das Volk” zu „Wir sind ein Volk”?

Schrecklich. Man sah die geifernden „40 Jahre hamse uns betrogen“-Opfer, die Deutschland- und Reichskriegsflaggen und Helmut Kohl im Fernsehen und wusste, dass sich einmal mehr das aggressiv-Kleinbürgerliche durchsetzen wird. Mit allen Konsequenzen, wie man wenig später sehen konnte.

Demokratieerfahrungen im vereinten Deutschland. Rechtspopulisten, besorgte und Wutbürger beanspruchen den Begriff „Wir sind das Volk“ jetzt für sich. Welche Assoziationen gehen für dich damit einher?

Natürlich sind sie das Volk. Wir sollten uns von der romantischen Vorstellung verabschieden, dass „das Volk“ irgendwie gut ist. Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus gehören zum Kapitalismus wie das Amen in der Kirche. Die zivilisatorische Decke ist extrem dünn und zerreißt bei der kleinsten Kleinigkeit sofort und die Leute drehen durch. Verschärfen sich die systemimmanenten Konkurrenzsituationen holt der Kleinbürger zusammen mit seiner Frau Mistgabel und Fackel raus und rückt bei den Nächstschwächeren an, die er als Schuldige an der eigenen Misere ausmacht. Zur Not tuns auch die Juden, die an allem Schuld sind. Oder die USA. Ekelhaft.

Ab 1989 wurden Mauern eingerissen und Grenzen abgebaut. Jetzt werden diese wieder aufgebaut. Wie nimmst du das wahr? Wie fühlt sich das für dich an?

Den Menschen kommen durch die herrschenden Zustände grundlegende Skills abhanden. Solidarität zum Beispiel. Durch die individuellen Konkurrenzkämpfe ist jede*r auf den eigenen Vorteil bedacht, der zur Not mit einer Mauer gesichert werden muss.
Dazu kommt, dass die Welt im Spätkapitalismus immer unübersichtlicher wird. Globalisierung, Waren- und Geldströme, Nektarinen mitten im Winter. Die Menschen wollen Eindeutigkeit und Übersichtlichkeit. Die gibts aber nicht.

Was können wir unseren nächsten Generationen als Erinnerungskultur, Auswertung und Aufarbeitung der DDR-Geschichte und unserer Historie ohnehin mit auf den Weg geben? Was können wir, was kann jeder selbst aus der Geschichte lernen?

Dass man nie hinter den eigenen Anspruch, gesellschaftlich emanzipatorisch und menschenfreundlich zu handeln, zurückfallen darf. Menschenrechte und Demokratie gelten entweder für alle oder sie gelten für niemanden. Dass es nicht um „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ geht, sondern darum, Paläste für alle zu schaffen.
Dass man trotz falsch eingerichteter Zustände nicht zwangsweise auch ein Arschloch sein muss und dass Meinungsfreiheit und das Recht auf Iron Maiden Errungenschaften sind, die zu verteidigen es wert sind.

HENDRIK DOMRÖS

Hendrik Domrös, geboren in den 70ern, die 80er gut überstanden, auch ohne Westgeld (ging!), dafür 1989 Kreispokalsieger im Fußball, in den 90ern als Fliesenleger, in der Behindertenhilfe, als Musikant und als Studentenimitator tätig, 2000 das Roskilde-Festival überlebt, 2003 Latinum, danach philosophische Tätigkeiten im Bereich der bierbegleitenden Gastronomie, seit Ende der 00er Jahre unterwegs als Bildungsreferent, Maidenpädagoge, Kritiker und Lebemann, am 25.12.2075, pünktlich zum 100. Geburtstag von Iron Maiden, Ende der Biografie, Lebensmotto: „Keep away from Idiots!“ (Lemmy Kilmister)

Im Buch „1989 – Lieder unserer Heimat“ schreibt Hendrik Domrös über: „KEIN POPPERSCHMALZ ODER SYNTHESIZER Als das Kinderzimmer zum Stahlwerk wurde“ www.1989-unsere-heimat.de/buch-lieder-unserer-heimat

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