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ZEITZEUG*INNEN: INTERVIEW MIT ROLF SPRINK

INTERVIEW MIT ROLF SPRINK

zum Buch „1989 – Lieder unserer Heimat”

Bist du mit der Staatsmacht und/oder mit der StaSi in Konflikt geraten?

Meine Stasiakte beginnt mit der Bespitzelung einer konspirativen Gruppe, an der ich teilnahm. Mit dem Zugriff hielt sie sich zurück, was umso merkwürdiger ist, weil die Bücher, die meinem Bruder zwei Jahre und drei Monate Knast in Cottbus einbrachten (er hat z. B. aus R. Kunzes „Wunderbaren Jahren“ in seiner Seminargruppe zitiert; das bedeutete „staatsfeindliche Hetze“), von mir stammen.

Haben dich deine Eltern und Großeltern in dem, was du tust, unterstützt? Wie haben sie das Leben in der DDR wahrgenommen und gelebt?

Meine lebenskluge Mutter lehnte das System ab. Wie man Vater Verhaftung und Knast meines Bruders verkraften und (in seinem kulturpolitischen „Apparat“) parieren konnte, habe ich mich immer gefragt. Ihn leider nicht.

Rückblickend und im Vergleich mit dem Leben im Hier und Jetzt: Was verbindest du mit dem Satz: „Es war doch nicht alles schlecht.” Was waren für dein Gefühl positive Aspekte im DDR-System?

Positiv erlebt und als selbstverständlich genommen wurde die soziale Absicherung – bei meinem ersten Besuch im Westen 1987 hat mich der Bettler mit dem Pappschild „Zum Essen“ quasi umgehauen. Aber: Die soziale Absicherung war es, woran sich das unwirtschaftliche System letztlich übernahm und kollabierte. Sie erwies sich als Fata Morgana …

Hast du dich nach Meinungs-, Presse-, Reisefreiheit und eigener Freiheit/Identität gesehnt und wenn ja, wie und in welchem Rahmen?

Und wie! Tag und Nacht!

„Wir hatten doch nüscht.” Hast du selbst die Plan- und Mangelwirtschaft als Mangelwirtschaft für deinen persönlichen Bereich empfunden?

Die materiellen Bedürfnisse unserer Familie konnten wir „recht und schlecht“ bedienen.

Wie hast du Unterricht und Schule erlebt?

Gern denke ich an meine erste Lehrerin zurück: Fräulein (!) Margarethe Geyer, bei der ich Lesen und Schreiben gelernt habe. Aber sie war eben „alte Schule“.

Wie haben für dich Musik, Kunst und Kultur das Leben in der DDR beeinflusst?

Hochkultur: sehr genossen, soweit erschwinglich. Für die „Untergrund-Literatur“ brauchte man Nischen und Freunde.

Welche Bücher und Filme haben für dich einen bleibenden Eindruck und wohlige Gefühle hinterlassen?

Thomas Mann, die „Russen“… Viel Musik … Filme: Geschichte, Abenteuer

Wie ist heute dein Blick auf die DDR?

Ich weine ihr keine Träne nach!

Kann deines Erachtens Zivilcourage die Gesellschaft ändern?

1989 wurde in der DDR dafür der Beweis erbracht. Auch für Gegenwart und Zukunft bleibt sie ein „Lebensmittel“.

Wie empfandest du bei den Montagsdemonstrationen den Übergang von „Wir sind das Volk” zu „Wir sind ein Volk”?

Es war buchstäblich der Lauf der Dinge, nicht aufzuhalten. Anfangs liebäugelte ich mit einem reformierten DDR-Sozialismus. Die Mehrheit löste jedoch radikale Veränderungen aus – „Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, gehn wir zu ihr“ –, ohne „Risiken und Nebenwirkungen“ zu ahnen.

Demokratieerfahrungen im vereinten Deutschland. Rechtspopulisten, besorgte und Wutbürger beanspruchen den Begriff „Wir sind das Volk“ jetzt für sich. Welche Assoziationen gehen für dich damit einher?

Mir stülpt sich der Magen dabei um! Aber bei vielen scheint (wieder) der Eindruck zu bestehen, dass „die da oben nicht mehr können und die da unten nicht mehr wollen“

Ab 1989 wurden Mauern eingerissen und Grenzen abgebaut. Jetzt werden diese wieder aufgebaut. Wie nimmst du das wahr? Wie fühlt sich das für dich an?

Mauern und Grenzen, die der Abschottung und Ausgrenzung dienen, die auf Feindbildern beruhen, gehören auf den Schrotthaufen der Geschichte.

Was können wir unseren nächsten Generationen als Erinnerungskultur, Auswertung und Aufarbeitung der DDR-Geschichte und unserer Historie ohnehin mit auf den Weg geben? Was können wir, was kann jeder selbst aus der Geschichte lernen?

Seid wachsam gegenüber Unrecht, Lügen und Ausgrenzung, haltet couragiert dagegen!

Vorträge und meine Erinnerungen zum Thema Friedliche Revolution schließe ich gern mit B. Brechts „Das Lied von der Moldau“ ab:

Am Grunde der Moldau wandern die Steine,
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.

Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne
der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.
Und geh´n sie einher auch wie blutige Hähne,
es wechseln die Zeiten, da hilft kein´ Gewalt.

Lieben Dank für das Interview

ROLF SPRINK

Jahrgang 1950. Aufgewachsen in Görlitz, Dresden, Bautzen, Berlin. Studium der Ethnologie und Soziologie an der Universität Leipzig. Lektor im Brockhaus-, später Tourist-Verlag. 1990 Mitbegründer des Forums Verlags Leipzig, Verleger und Geschäftsführer. 1993-1996 Referent der Ökumenischen Stadtakademie Leipzig. 1996-2015 Leiter der Volkshochschule Leipzig. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Erwachsenenbildung und VHS-Arbeit. Ehrenamtliche Tätigkeit u.a. als Mitglied im Kuratorium der Stiftung Friedliche Revolution.

Im Buch „1989 – Lieder unserer Heimat“ schreibt Rolf Sprink über: „OSTALGIE – NEIN DANKE! Wie standhalten?“ www.1989-unsere-heimat.de/buch-lieder-unserer-heimat

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